Der Reclam-Verlag in Stuttgart hat sich ein Mammutprojekt vorgenommen. In den kommenden Jahren sollen alle sieben Bände des Großwerks von Marcel Proust Auf der Suche nach der verlorenen Zeit neu übersetzt und veröffentlicht werden. Begonnen wurde Ende 2013 mit dem ersten Band Unterwegs zu Swann. Neuübersetzungen sind immer ein heikles Thema – Leser wachsen mit einer bestimmten Übersetzung auf, gewöhnen sich an sie und bleiben ihr treu, auch wenn sich die Sprache ändert und die ältere deutsche Fassung nicht mehr der Sprachrealität entspricht. Außerdem stellt sich die Frage, wie modern ein Werk von 1913 klingen soll – immerhin ist es über 100 Jahre alt und verwendet eine deutlich andere Sprachform als es ein heute verfasster Roman täte.

Unterwegs zu Swann hat zwei zentrale Themen. Die verlorene Zeit und Charles Swann. Der Erzähler erinnert sich seiner Kindheit, in der er zuerst auf den Freund seiner Eltern, Monsieur Charles Swann traf. Der einem Freund Prousts nachempfundene Swann schafft die Verbindung zwischen dem weltbekannten ersten Satz „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“ und der Erinnerung, denn Swanns Auftreten bringt den Erzähler, damals noch ein kleiner Junge, um den Gute-Nacht-Kuss seiner Mutter. Diese anfangs einzige Erinnerung an die Jugend und die Sommer in Combray, wird später durch eine zufällig ausgelöste unfreiwillige Erinnerung erweitert, die eine Mannigfaltigkeit an weiteren Erinnerungen hervorbringt. Swanns Leben und Liebe wird zum Thema des Romans, ähnlich wie weitere Familien aus dem Bekanntenkreis der Eltern des Erzählers wie die Guermantes und die Verdurins. Die Erinnerung und das Vergessen werden immer wieder in den Vordergrund der Handlung und der Gedanken gerückt – der Roman reflektiert über lange Abschnitte die Natur der Dinge und die Vergänglichkeit der Orte und Menschen. Prousts Stil ist auch in einer gelungenen Neuübersetzung nicht einfach zu lesen. Der stete Zwist zwischen dem Erwachsenen und dem Kind, die beide in einer Person als Erzähler wirken, strengt manche Leser an. Besonders der philosophische Aspekt der Reflektionen des erwachsenen Erzählers über die Handlungen seiner kindlichen Selbst muten ungewöhnlich an, da das Kind selbst zu solchen Gedanken nicht fähig wäre.

Es bleibt wohl den frankophilen Lesern, zu beurteilen, ob diese Übersetzung besser ist als die, die seit Jahren vom Suhrkamp-Verlag verlegt wird – einige Schnitzer wurden bereits in anderen Besprechungen genannt. Prousts Suche nach der verlorenen Zeit ist und bleibt Weltliteratur und kann auch noch 100 Jahre nach dem Erscheinen faszinieren.

reclamTitel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band 1: Auf dem Weg zu Swann
Autor: Marcel Proust
Preis: 29,95€
Verlag: Reclam

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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