Alan Moore und die Kontroverse um die Before Watchmen-Reihe

Die Comicbranche hat ihre eigenen Regeln – Nummer eins bis zehn lauten: „Du solltest dich nicht mit Alan Moore anlegen!“ Schließlich ist das englische Autorengenie für den modernen Comic, was Jesus für das Neue Testament ist und verfügt über einen Zorn, wie man ihn sonst nur vom altehrwürdigen jüdischen Rachegott kennt. Das bekamen unlängst auch die Redakteure des amerikanischen Verlagsriesen DC zu spüren, die gegen des Meisters Willen eine Reihe von Prequels zu seinem Opus Magnum Watchmen von 1986 in Auftrag gaben. Moore diskreditierte die Verantwortlichen daraufhin als Verbrecher, an deren Straftaten sich jeder mitschuldig macht, der die Before Watchmen-Comics kauft. Das ist doch mal eine Ansage!

Nun arbeiten bei DC natürlich keine weltfremden Amateure, sondern findige Medienprofis, die eine entsprechende Reaktion durchaus als kostenlose Werbung einkalkuliert haben dürften. Dabei unterschätzten sie jedoch das Ausmaß der Solidarität, das die Branche ihrem Altvorderen entgegenbrachte: Zahlreiche Zeichner und Autoren schlugen sich öffentlich auf Moores Seite, namhafte Comicshops gaben bekannt, Before Watchmen nicht in ihr Sortiment aufnehmen zu wollen und Kunden stornierten ihre Vorbestellungen. Auf einmal schien die Reihe tatsächlich mit einem Makel behaftet.

Before Watchmen
Before Watchmen

Nun gibt ein moralisch eher unrühmlicher aber juristisch legitimer Umgang mit den Rechten eines Urhebers natürlich keine Auskunft über die Qualität der Prequels. Immerhin wirbt DC damit, dass die Comics „von Amerikas Top-Zeichnern und -Autoren“ angefertigt worden sein – seltsam ist dann nur, warum von den Titelbildern so viele Namen prangen, die nur Insidern ein Begriff sind. Die echte Elite, nicht selten alte Kumpel Moores, würde sich vermutlich eher die Finger abbeißen, als bei Alan in Ungnade zu fallen. Darüber hinaus darf auch ernsthaft bezweifelt werden, dass gegenwärtige Spitzenkräfte wie Scott Snyder, Mark Millar oder Jeff Lemire Watchmen noch etwas hätten hinzufügen können.

Denn hier liegt das eigentliche Problem der Prequels: Qualitativ betrachtet ist ihre Vorlage ein Ausnahmewerk, beispiellos durchdacht bis ins kleinste Detail. Folglich provozieren die neuen Bände einen Vergleich, dem sie gar nicht standhalten können, vom Gewinnen ganz zu schweigen. Das weiß natürlich auch der gemeine Comiczeichner und unternimmt konsequenterweise erst gar keine großen Anstrengungen um Moore das Wasser zu reichen – stattdessen beschränkt man sich darauf Details des Originals mal mehr, mal weniger gelungen illustriert, auszuwalzen. Warum also nicht einfach das ganze Gewese als viel Lärm um nichts abtun und sich wieder interessanteren Neuerscheinungen zuwenden? Die Antwort ist einfach: Weil man dann das Comeback der wohl besten Comicfigur seit Batman verpassen würde.

Auftritt Rorschach: Der völlig verlotterte, antisoziale Superheld der schwarzen Herzen, der morgens gerne eine Portion kalte Bohnen aus der Dose löffelt, bevor er Verbrechern die Knöchel bricht, bis sie ausspucken was er hören will. Eine Schlüsselfigur des modernen Comics. Natürlich war er bei Moore irgendwie noch cooler, dennoch überwiegt die Wiedersehensfreude, wenn sich Brian Azzarello und Lee Bermejo dem Charakter annehmen: Was hat uns dieser Schweinehund doch gefehlt! Zudem ist mit der gleichnamigen Miniserie eine zynisch-spannende Episode aus Rorschachs Anfängen in den 1970ern gelungen, ein Zerrspiegel von Saturday Night Fever, in dem John Travolta vor der Disco Crack an Schulkinder verkauft und die Bee Gees backstage verstümmelte Frauenleichen stapeln. Und wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man ihn dann doch gelegentlich, den Geist von Alan Moore, der gut versteckt durch dieses Szenario weht.

Wenn mit Before Watchmen nun der Fluch gebrochen ist, der bisher neue Rorschach-Geschichten verhinderte, ist das ganze böse Blut zumindest nicht umsonst durch die Verlagsetagen geflossen. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob Moores Zorn mit den Umsatzeinbußen, die seine Äußerungen DC eingebracht haben, schon besänftigt ist oder ob der heilige Wüterich doch ein paar Plagen über seinen ehemaligen Arbeitgeber zu schicken gedenkt. Ich würde mich an ihrer Stelle schon einmal nach einem guten Hersteller für Archen erkundigen.

Die Before Watchmen-Reihe:

Brian Azzarello/Lee Bermejo: Rorschach. Panini Comics. 104 Seiten (farbig). 12,99 Euro.
Brian Azzarello/J.G. Jones: Comedian. 148 Seiten (farbig). 16,99 Euro.
Darwyn Cooke: Minutemen. 176 Seiten (farbig). 16,99 Euro.
Darwyn Cooke: Silk Spectre. 116 Seiten (farbig). 14,99 Euro.
J.M. Straczynski/Adam Hughes: Dr. Manhattan. 114 Seiten (farbig).14,99 Euro.
J.M. Straczynski/Andy Kubert: Nite Owl. 100 Seiten (farbig). 14,99 Euro.
Len Wein/Kyle Higgins: Crimson Corsair. 148 Seiten (farbig). 16,99 Euro.
Len Wein/Jae Lee: Ozymandias. 156 Seiten (farbig). 16,99 Euro.

R.I.P.D.
R.I.P.D.

R.I.P.D.
Titel: R.I.P.D.
Autor: Peter M. Lenkov (Skript), Lucas Marangon (Zeichnungen).
Verlag: Cross Cult. 100 Seiten (farbig), Hardcover. 16,80 Euro.

Manchmal ist es schon ein echtes Kreuz mit den Comicverfilmungen: Da werden Vorlagen an die Oberfläche gespült, die ohne die Adaption zu Recht nie die Farbe einer deutschen Druckerpresse gesehen hätten. Beispielsweise die vierteilige Miniserie R.I.P.D von 1999, deren Kinoversion größerer Erfolg versagt blieb. Darin erhält der ambitionierte Jungpolizist Nick nach seinem Tod die Möglichkeit, die eigene Ermordung aufzuklären und dem ‚Rest in Peace Department‘ beizutreten. Mit seinem Partner, dem rustikalen Cowboy Roy, bekommt er die Aufgabe, aus der Hölle entflohene Dämonen wieder unter die Erde zu bringen. Wer hier einen Abklatsch von Men in Black mit Hölle anstelle von Weltraum vermutet, weiß auch schon alles, was es über R.I.P.D zu wissen gibt. Dabei mangelt es im Vergleich an satirischer Schärfe oder erzählerischer Tiefe – Manko, die der teilweise überraschend ruppige Splatter-Humor und die sympathische Figurenzeichnung nur im Ansatz ausgleichen können. Der Misserfolg im Kino dürfte dennoch weniger der Vorlage, als vielmehr Regisseur Robert Schwentke geschuldet sein, der schon mit R.E.D. bewiesen hat, dass er selbst einen guten Comic so lange weichspülen kann, bis nur austauschbarer Nonsens übrigbleibt. Ohnehin scheint für ihn nicht die Qualität das Kriterium für die Verfilmung zu sein, sondern dass sich der Titel mit wenigen Buchstaben abkürzen lässt. (4)

Hit-Girl
Hit-Girl

Hit Girl/Kick-Ass 2
Titel: Kick-Ass: Hit Girl; Kick-Ass 2: Gesamtausgabe
Autor: Mark Millar (Skript), John Romita jr. (Zeichnungen).
Verlag: Panini. 124/200 Seiten (farbig), Softcover. 14,95/19,95 Euro.

Vergleichsweise erfolgreich und qualitativ durchaus ansprechend gelang hingegen die Kinoumsetzung von Kick-Ass 2, der nicht nur der gleichnamige Achtteiler, sondern auch die fünf Ausgaben umfassende Miniserie Hit-Girl zu Grunde liegt. Zwar wurden auch hier die meisten Ecken und Kanten der Comics abgeschliffen – die Vorlagen sind aber auch so unglaublich zynisch und gewalttätig, dass sie für ein Massenpublikum schlicht unzumutbar wären. Was nicht heißen soll, dass Mark Millar und John Romita jr. nicht weiterhin auf der Höhe ihrer Kunst arbeiten würden: Besonders Hit-Girl, in dem die elfjährige Mindy mit der Mafiafamilie abrechnet, die ihren Vater auf dem Gewissen hat, zeigt, dass die beiden in punkto Tempo und Pointierung derzeit wohl konkurrenzlos im amerikanischen Mainstream sind. Kick- Ass 2 ist formal und narrativ ähnlich brillant, aber viel nihilistischer: Da Teenager und Selfmade-Superhero Dave mit Gleichgesinnten ein Heldenteam formiert, fühlt sich sein Gegenspieler Red Mist provoziert und stellt eine Söldnergang zusammen, die mordend durch die Vorstadt zieht. Der Zusammenprall fordert auf beiden Seiten empfindliche Opfer, behält dabei aber stets den Charakter eines grausamen, völlig außer Kontrolle geratenen Scherzes. Obgleich dieser qualitativ über jeden Zweifel erhaben ist, stellt sich doch die Frage, wem man diese nihilistische Höllenfahrt noch guten Gewissens empfehlen soll. (9)

Hieran sollst du ihn erkennen
Hieran sollst du ihn erkennen

Hieran sollst du ihn erkennen
Titel: Hieran sollst du ihn erkennen
Autor: Jesse Jacobs.
Verlag: Rotopol Press. 80 Seiten (farbig), Softcover. 19 Euro.

Dass in den USA häufig eine schräge Einstellung die Evolution betreffend vorherrscht, ist nichts Neues – dass ihre nördlichen Nachbarn ähnlich exzentrische Ansichten haben allerdings schon. Beispiel: Hieran sollst du ihn erkennen, ursprünglich im kanadischen Verlag Yokama Press erschienen: In einer Art göttlichen Arbeitsgruppe, experimentiert der sensible Ablavar mit Kohlestoff und kreiert so pflanzliche und tierische Lebensformen. Sein bösartiger Kollege Zantek steht mehr auf Silikonmoleküle und verachtet daher Ablavars Schöpfung, weshalb er den Menschen schafft, um diese zu ruinieren. Zeichner Jesse Jacobs erzählt dies in einem mild psychedelischen Stil, dessen Farbpalette neben den schwarzen Konturen ausschließlich aus Violett und Azur besteht und der immer dann beeindruckt, wenn der weiche Riese Ablavar im Mittelpunkt steht. Leider beschränkt Jacobs sich nicht auf dessen Perspektive, sondern erzählt in einem zweiten Handlungsstrang auch von den Erfahrungen der ersten Menschen, zurückgeblieben wirkenden Versionen von Adam und Eva, Kain und Abel. Diese sind nicht nur für Ablavar, sondern auch für den Leser eine echte Plage, nicht nur, weil sie in einem grauenhaft naiven Stil gezeichnet sind, sondern sich scheinbar ausschließlich für den Verzehr ihrer eigenen Körperausscheidungen und Tierquälerei zu interessieren. Für Jacobs mag dies eine Möglichkeit sein, sein, recht widerliches, Menschenbild zu kommunizieren – der Erzählung fügt er damit jedoch erheblichen Schaden zu. (5)

Strangers in Paradise
Strangers in Paradise

Wiederveröffentlichung des Monats: Strangers in Paradise
Titel: Strangers in Paradise: Gesamtausgabe Bd. 1
Autor: Terry Moore.
Verlag: Schreiber&Leser. 344 Seiten (s/w), Softcover. 16,95 Euro.

„Was die meisten Menschen nicht wissen über Liebe, Sex und Beziehungen würde Bände füllen. Diese Bände sind Strangers in Paradise.“ – auf den Umschlägen von Büchern findet sich ja so selten was Brauchbares, dass man die Ausnahmen ruhig mal zitieren kann. Tatsächlich erzählt Terry Moores Serie sehr komplex und ernsthaft von der Beziehung zwischen der lesbischen Katchoo und ihrer heterosexuellen Mitbewohnerin Francine. Dafür nutzt er neben Komödie und Melodram auch die Kriminalerzählung, die immer dann bemüht wird, wenn Katchoos ominöse Vergangenheit ins Zentrum der Geschichte rückt. Strangers in Paradise erschien erstmals 1993 und brachte es in den folgenden vierzehn Jahren auf stolze 106 Ausgaben, angesichts der gewählten Thematik und der komplexen narrativen Gestaltung ein Solitär auf dem amerikanischen Comicmarkt. Entscheidend für den Erfolg dürften auch Moores einfallsreiche Zeichnungen sein, die stets von großer Direktheit sind, dafür aber eine erstaunliche Bandbreite aufweisen, die sich den Bedürfnissen der Erzählung anpassen. Der Auftakt der Gesamtausgabe ist erfreulich umfangreich und versammelt die ersten fünfzehn Ausgaben der Serie, verzichtet aber auf jegliches Bonusmaterial – der Inhalt spricht halt für sich. Und weil es so schön ist zum Abschluss noch mal der Klappentext: „Strangers in Paradise ist die große amerikanische Comic-Seifenoper im späten 20. Jahrhundert.“ Warum nicht. (8)

The Silver Age of DC Comics
The Silver Age of DC Comics

Sekundärliteratur The Silver Age of DC Comics
Titel: The Silver Age of DC Comics 1956-1970
Autor: Paul Levitz.
Verlag: Taschen. 397 Seiten (farbig), Hardcover. 39,90 Euro.

Schon in den 1930ern stellte man fest, dass sich auch die miesesten Comichefte noch gut verkaufen lassen, wenn man sie mit einem hochwertigen Titelbild versieht. Daran hat sich bis heute nichts geändert, weshalb es verwunderlich ist, dass die Coverkunst in der Vergangenheit selten zum Gegenstand gesonderter Betrachtung geworden ist. The Silver Age of DC Comics schafft zumindest partiell Abhilfe, spiegelt der Band doch die Publikationen des Comicriesen primär über diese Form der Zeichnung wieder. Daneben gibt es auch zahlreiche Einzelbilder und Innenseiten aus Superman, Batman, Flash oder Green Lantern sowie Abbildungen von Merchandise und Filmplakaten. Doch es sind besonders die Titelbilder, bei denen man dankbar dafür ist, dass sie auf diese Weise vor dem Vergessen bewahrt werden. Autor Paul Levitz erläutert zudem die skurrilen Trends der Jahre 1956-70, beispielsweise die Tatsache, dass sich Hefte mit einem Gorilla auf dem Cover überdurchschnittlich gut verkauften. Zudem liefert er prägnante Zusammenfassungen (etwa „Batman Nr. 209“: „Dank des gehirnmanipulierenden Mr. Esper konnten Batman und Robin ihren Sinnen nicht mehr trauen und litten unter Wahnvorstellungen von Tigern, die durch die Bathöhle streiften, während ein verwirrter Alfred zuschaute.“) und treffende Seitenhiebe: „Diese Titelseite enthielt sämtliche Elemente, die nach der gängigen Vorstellung Comics verkauften: Rätsel für den Leser, ein weinender Held und der Tod eines Helden. Wenn jetzt noch ein Gorilla im Hintergrund zu sehen gewesen wäre, hätte sich das Heft wahrscheinlich von alleine verkauft.“ Historisch besonders wertvoll. (8)

Short Cuts

Saga – Eins: Brian K. Vaughan ist obenauf: Als erfolgreicher Fernsehautor („Under the Dome“) braucht er sich um ausbleibenden Kapitalfluss nicht zu sorgen und mit seiner neuen Comic-Serie hat er bei den äußerst renommierten Eisner-Awards ordentlich abgeräumt. Zu Recht: Seine Science-Fiction-Fantasy-Love-Story um Feenfrau Alana und Ziegenmann Marko die zwischen den Fronten eines interstellaren Kriegs ums Überleben kämpfen, ist gleichzeitig komplex und einfallsreiche und bietet mit der Lügenkatze eine der besten Nebenfiguren der jüngeren Comicgeschichte. Hier hat man endlich mal wieder das Gefühl, den Anfang von etwas ganz Großem zu lesen. (Cross Cult, 160 Seiten, 22 Euro)

Chew – Bulle mit Biss! Band 6: Es ist Halbzeit in John Laymans grotesker Cop-Serie „Chew“ und man tut dem sechsten Band „Space Kekse“ nicht unrecht, wenn man ihn als bisherigen Höhepunkt der Reihe bezeichnet. Zeichner Rob Guillory wird tatsächlich immer besser, wie sich an der ausdrucksstarken Mimik der Figuren und den zahllosen visuellen Einfällen einwandfrei nachvollziehen lässt, Layman unterstützt ihn mit einer Wagenladung absurder, vor allem tierischer Einfälle. Es wimmelt vor explodierenden Kühen, herabregnenden Schafen und psychedelischen Mischpoken aus Frosch und Huhn. Der reine Wahnsinn. (Cross Cult, 128 Seiten, 16,80)

Click – Außer Kontrolle, Teil 1: Der bereits elfte Band Werkausgabe von Milo Manara präsentiert den ersten Teil des schlüpfrig-subversiven Erotik-Epos des italienischen Altmeisters. Darin wird der leidenschaftslosen Claudia ein Chip implantiert, der sie zu unersättlichen Femme Fatale macht. Die neue Kolorierung mit der die Ausgabe wirbt, verschlimmbessert das Original leider, dafür glänzen Vorwort und ausführliches Portfolio. Ab 18 Jahren empfohlen. (Panini, 148 Seiten, 29,95)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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